Verhandlung am Landgericht: Aggressiver Angeklagter

„Gesund hätte er anders reagiert“ Zeitungstext vom 15.5.25

Bewährungsstrafe: 30-jähriger Angeklagter bleibt nur unter sehr strengen Auflagen in Freiheit Von Nadine Bachmeier ©Straubinger Tagblatt

Deggendorf/Metten.

Der Anfang der Zusammenarbeit sei sehr holprig gewesen, erklärt die gesetzliche Betreuerin des 30-jährigen Angeklagten. Sie war am Donnerstag die erste Zeugin, die am zweiten Prozesstag im Verfahren gegen den Staatenlosen, dem verschiedene
Straftaten vorgeworfen wurden, erschienen ist. Sie erzählte, dass Treffen nur an öffentlichen Plätzen stattfinden konnten, weil der 30-Jährige anfangs so aggressiv gewesen sei. Deshalb habe ein vorheriger Betreuer bereits das Handtuch geworfen. Beim Angeklagten habe es starke Schwankungen im Verhalten zwischen „aggressiv und okay“ gegeben, erzählt sie. Den Grund dafür sieht sie darin, dass er seine Medikamente nicht genommen habe, da sei ihm alles entglitten, mutmaßt sie. Auf die Frage der Oberärztin der Forensischen Ambulanz des Bezirksklinikums Mainkofen, Dr. Mirela Pascu, die den Angeklagten psychiatrisch begutachtete, denkt sie kurz nach und sagt dann leise: „Ich weiß nicht, ob das klappt.“ Pascu wollte wissen, ob ein Leben
mit Depotmedikation und engmaschiger ambulanter Überwachung des Angeklagten in Freiheit für die Betreuerin vorstellbar wäre.
Vorgeworfen wird dem 30-Jährigen zum einen, dass er sich der Billigung von Straftaten strafbar gemacht haben soll. Er soll am 9. November 2023 einen dienstlichen Facebookpost des Deggendorfer Oberbürgermeisters Dr. Christian Moser zum 85. Gedenktag der Reichspogromnacht mehrmals kommentiert haben. Im Inhalt der Kommentare sieht die Staatsanwaltschaft ein
Gutheißen der von der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 gegen die israelische Bevölkerung verübten Kriegsverbrechen, indem er, wie er wusste, eine tatsächlich nicht existierende Rechtfertigung des Überfalls auf Israel behauptete.

Existenzrecht Israels darf nicht bezweifelt werden
Bereits am ersten Prozesstag stellte sich heraus, dass der Angeklagte die Posts mittels des Googleübersetzers verfasst hatte und man laut Vorsitzendem Richter Dr. Georg Meiski nicht sicher sein könne, „ob der Angeklagte wirklich sagen wollte, was Google da ausgespuckt hat.“ Dennoch richtete er eindringliche Worte an den Angeklagten, dass das Existenzrecht Israels nicht diskutierbar sei und zur deutschen Staatsräson gehöre. Wer die Existenz Israels nicht dulden und mittragen will oder kann, der darf und kann in Deutschland keinen Schutz suchen, mahnte Meiski in Richtung des staatenlosen Angeklagten, dessen Vater aus Palästina stammt. Mit großen Augen starrt der Angeklagte den Richter an, während der seine „staatstragenden Worte“, wie Meiski sie selbst nannte, an ihn richtet.
Wie bereits am ersten Prozesstag von Meiski vorgeschlagen, entscheidet sich der Staatsanwalt, von der Verfolgung dieser Tat abzusehen – „die Voraussetzung ist, dass das Existenzrecht Israels nicht infrage gestellt wird“, mahnt Meiski ein letztes Mal.
Zudem wirft die Staatsanwaltschaft dem Mann vor, am Nachmittag des 12. Februar 2024 seine ehemalige Chefin, in deren Restaurant er vier Monate tätig war, bedroht zu haben. Er soll am Telefon gesagt haben, sie fertigzumachen und umzubringen. Dass diese Tat nicht weiter verfolgt werde, darüber war man sich am vorhergehenden Prozesstag bereits einig, weil keiner der Prozessbeteiligten die Aussage der betreffenden Zeugen für glaubwürdig erachtete. Ebenfalls am 12. Februar soll der Angeklagte knapp eine Stunde später in den Gasthof gekommen sein und dort einem Angestellten mit der Faust gegen den Brustkorb und mit dem Fuß gegen das Schienbein getreten haben. Der Angeklagte soll ein Messer gezogen haben, mit dem er in Richtung des Angestellten gestochen haben soll. Der wiederum konnte davonlaufen und sich in einem Zimmer einsperren. Darum steht der Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung ebenfalls im Raum.

Außerdem wirft die Staatsanwaltschaft dem Mann vor, Ende August kurz vor Mitternacht zwei Autos zerkratzt zu haben, wodurch ein Schaden von fast 8500 Euro entstanden ist. Die Eigentümerin eines der Autos erzählte am ersten Prozesstag, dass sie erst zwei Mädchen heimgefahren habe, die auch Angst vor dem Angeklagten gehabt haben sollen und unterwegs ihren Bruder verständigt habe – dessen Auto war das zweite zerkratzte. Der habe sich bei einem Aufeinandertreffen mit dem Angeklagten nicht mehr zu helfen gewusst und versucht, sich mit einer Konfettikanone gegen den mutmaßlichen Angreifer zu verteidigen. Als zwei hinzugerufene Polizisten kamen, soll der 30-Jährige diese beleidigt, bedroht und bespuckt haben. In der Zelle, in die er bei der Polizei gesteckt wurde, soll er die Matratze zerrissen und in die Gegensprechanlage gepinkelt haben. Der Schaden in der Zelle wird mit über 1200 Euro angegeben.

Wurde bereits zu einer Bewährungsstrafe Haftstrafe verurteilt
Beim Verlesen des Bundeszentralregisterauszugs des Angeklagten stellt sich heraus, dass dieser bereits zu Haftstrafen verurteilt war, die er absitzen musste. Seit 2016 ist der 30-jährige Staatenlose in Deutschland. Geboren wurde er in Syrien, der Vater stammt aus Palästina. Die Mutter habe ihn nach Deutschland geschickt, damit er von den Drogen wegkomme und ein besseres Leben führen könne, erzählt die psychiatrische Gutachterin. Zum ersten Mal stand er im März 2017 vor dem Straubinger Amtsgericht wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Später folgten Verhandlungen wegen Sachbeschädigung, Bedrohung, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Körperverletzungen, Beleidigungen – was teilweise mit Geldstrafen, aber auch einer insgesamt einjährigen Haftstrafe geahndet wurde. Insgesamt fanden sich bis zum aktuellen Prozess sechs Einträge in dem Register. In Haft habe er sich wohlgefühlt, führt Dr. Pascu in ihrem Gutachten aus – schließlich sei er da
weg von den Drogen gewesen. In ihrem sehr ausführlichen Gutachten geht Dr. Pascu auf die 14 Mainkofenaufenthalte des Angeklagten ein. Zum ersten Mal wurde er im März 2017 von der Polizei gebracht, weil er seine damalige Freundin bedroht haben soll. Laut Freundin habe er einen Verfolgungswahn. Auch nach den im Prozess vorgeworfenen mutmaßlichen Taten vom Februar und Oktober vergangenen Jahres wurde er von der Polizei ins Bezirksklinikum eingeliefert. Seit Ende Februar war er dort in der Forensik untergebracht.
In fast jedem Entlassbericht wird erwähnt, dass der Angeklagte Stimmen höre und wahnhaft sei, eine psychotische Störung habe, neben Alkohol weitere Substanzen missbrauche und teilweise wegen selbstverletzenden Verhaltens oder Suizidgedanken beziehungsweise -versuchen eingeliefert wurde. Häufig sei er so aggressiv gewesen, dass er fixiert werden musste. Bei einem
Vorfall habe er trotz Hand- und Fußfessel das Brett am Fußende seines Bettes heraustreten und aus einer Handfessel schlüpfen können, während er das Personal bedrohte und bespuckte – am nächsten Tag habe er sich entschuldigt.
Als er im August 2019 mit akuter polymorpher psychotischer Störung – einer vorübergehenden psychotischen Störung, bei denen der Patient Halluzinationen, Wahnphänomene und Wahrnehmungsstörungen in unterschiedlicher Ausprägung
hat – eingeliefert wurde, eskalierte die Situation, als er in ein Stationszimmer eindrang, sich mit einer Rasierklinge im Patientenbad einsperrte und sich später von der Fixierung losreißen wollte, die Sitzwache beleidigte und schlagen wollte. Eine Krankheitseinsicht sei nur bedingt erkennbar – seit diesem Vorfall werde der Angeklagte gesetzlich betreut.
Neun Monate sei der Angeklagte nach seiner Ankunft in Deutschland clean gewesen. Auch nachdem er vor knapp drei Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, sei er clean gewesen – habe gearbeitet und keine Drogen mehr genommen. Erst durch den Facebookpost und die damit einhergehenden Probleme sei er rückfällig geworden. Die Drogen und der Alkohol sollen laut Pascu
ein Trigger für den Angeklagten sein. Eigentlich sei er ein schüchterner Mensch, der nach Anschluss und Freundschaft suche. Eine wirkliche Behandlung habe er nie bekommen, reagiere jedoch sehr schnell auf die richtige Medikation.
Längere Zeit wird über die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit und damit Schuldfähigkeit des Angeklagten debattiert. Dr. Pascu ist sich sicher, dass der Angeklagte ohne seine Erkrankung gänzlich anders auf die Situationen reagiert hätte – dennoch sieht sie die Steuerungsfähigkeit nicht gänzlich aufgehoben.
Da „Schizophrenie 1000 Formen annehmen kann“, sei nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte ohne richtige Medikation gefährlich ist.
Betont, dass der Mandant Hilfe braucht
Während der Staatsanwalt im Angriff auf den Restaurantangestellten keine Notwehr sieht, ist sie das für Rechtsanwalt Markus Ihle eindeutig – wie man seiner Ausführung nach im Überwachungsvideo gesehen habe. Dass sein Mandant dringend Hilfe brauche, um aus dem Kreislauf rauszukommen, betont er vehement. Schlussendlich wird der 30-Jährige zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt – verstößt er gegen die strengen Auflagen, die beispielsweise eine fünfjährige engmaschig überprüfte Abstinenz vorschreiben, werde er nicht in einem Gefängnis, sondern in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Dann sei mit einem mehrjährigen Aufenthalt zu rechnen, mahnt der Richter. Bisher seien die begangenen Straftaten zwar „überschaubar“, aber laut Meiski sei nur glücklicherweise nichts Schlimmeres passiert – schließlich hatte er bei allen Taten ein Messer dabei. „Tun
Sie alles, um mit ihrer Gesundheit zurechtzukommen“, sagt Meiski, bevor er den Unterbringungsbefehl aufhebt und dem Angeklagten eine gute Nacht im eigenen Bett wünscht.

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